Unternehmer*innen für eine enkeltaugliche Wirtschaft von morgen
Ökologie zu einem marktfähigen Produkt ausbauen
Interview mit Dirk Gratzel, der bei SINN|MACHT|GEWINN 2020 einen Impulsvortrag hielt mit dem Titel „Gesucht: Die grüne Null oder Am Ende zahlen wir die Zeche“
Dirk Gratzel will die Welt mit einer ausgeglichenen Öko-Bilanz verlassen und hat eine Vision:
Ökologie zu einem marktfähigen Produkt ausbauen
Dirk Gratzel war Führungskraft in einem Weltkonzern, ist erfolgreicher Entrepreneur und hat ein klares Ziel vor Augen: GreenZero, die grüne Null. Sein Leben hat er komplett auf den Kopf gestellt. Über seine Vision und die Hürden, die er dabei überspringt, ist ausführlich berichtet worden, zuletzt im Spiegel-Magazin und im FREITAG. Bei SINN|MACHT|GEWINN 2020 gab er Einblicke in sein komplett verändertes Leben und seine Gedankenwelt.
Den Wert von Dingen verstehen
Dirk Gratzel: Ich habe heute einen ganz anderen Respekt vor vielen Dingen. Früher habe ich fünf plastikverpackte Waren in den Einkaufswagen gepfeffert und wusste natürlich, dass sich die Kids zuhause darüber freuen. Heute begegne ich den materiellen Dingen ganz anders. Ich putze meine Schuhe liebevoll, weil ich nicht mehr 50 Paar habe, sondern zwei Paar. Ich weiß, was für einen - auch ökologischen - Wert Produkte haben. Und das macht mich wacher im Umgang mit ihnen. Ich nehme heute meine Interaktion mit der Umwelt ganz anders wahr als an den Konsum-lastigen Zeiten.
Über ökonomischen Erfolg mit Ökologie
Ich habe Unternehmensanteile verkaufen können und ökonomisch erfolgreiche Zeiten hinter mir. Aber mein neues Projekt "HeimatERBE"verbraucht ständig Budget und erwirtschaftet vorerst noch keinen Return on Investment (ROI). Es ist das erste, in sehr moderner Organisation verfasste "Ökologie-Produktionsunternehmen" der Welt. Funktioniert es, wovon das Team mel als überzeugt ist, ist allein das schon ein großer Transformationsschritt in Richtung nachhaltigerer Gesellschaft.
Das Unternehmen arbeitet mit Industrie- und Montanbrachen und renaturiert diese bestmöglich. Ich selbst komme aus dem Ruhrgebiet. Wenn Sie sich mal die Reste von Steinkohle und Bergbau anschauen und auch die unternehmerischen Reste der großen Industriekonglomerate – das sind wirkliche Dinosaurier in der Art, wie sie produzieren, strukturieren und agieren. Und wenn man so ein Unternehmen dazu bringen könnte, etwas zu einem Wirtschaftsgut zu machen, das noch keines ist – nämlich die Ökologie –, in einem auf kommerziellen Gewinn getrimmten Betrieb, dann wäre das wirklich ein Riesenschritt.
Wenn es uns gelingt, Ökologie, die wir hier produzieren, zu einem marktfähigen Produkt auszubauen, dann ändert sich die ökonomische Welt von Grund auf. Weil dann der in der Planung befindliche nächste Supermarktparkplatz mit seinem enormen Flächenverbrauch mit den ökologischen Produktionsmöglichkeiten auf dieser Fläche konkurriert. Ökologie wird ökonomisch wettbewerbsfähig und wir bauen automatisch weniger Supermarktparkplätze. Dann verändert sich nicht nur unser Umgang mit natürlichen Ressourcen, dann verändert sich etwas Grundleges im Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie.
Über grenzenlosen Konsum auf Kosten der Kinder
Es kann doch nicht sein, dass ich Freitagmittag für 49 Euro nach Barcelona fliege, um dort ein schönes Wochenende zu verbringen. Und ich kann das nur deshalb tun, weil ich mir für diese 49 Euro rund 150 Euro von meiner zukünftigen Lebensqualität oder der meiner Kinder leihe. Kerosin ist steuerlich begünstigt, die Umweltkosten dieses Flugs sind bei weitem höher als diese 49 Euro. Trotzdem kann Ryanair damit ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufbauen. Aber es funktioniert nur, weil wir seine ökologischen Konsequenzen und Nebenwirkungen - wissentlich und vorsätzlich der nächsten Generation aufbürden. Das darf nicht sein!
Über Künstliche Intelligenz und Unternehmertum
Ich bin noch an einem KI-Unternehmen als Gesellschafter beteiligt. Aber ich arbeite heute nicht mehr in Themen der Künstlichen Intelligenz. Ich verstehe mich heute als Unternehmer in Sachen Nachhaltigkeit und Ökologie. Ich investiere viel in die neuen Unternehmen greenzero.me und HeimatERBE und habe keine Zweifel, dass diese Investitionen aufgehen werden. Auch wenn ich Zweifel habe, dass man dies in zwei Jahren bereits in einer Betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) sehen kann ;-)... Ich weiß nicht, ob es in Euro das Geschäft meines Lebens wird. Aber es wird sich ohne Frage auszahlen.
Über seine weitere Lebensperspektive
Ich bin 53 und kann und muss investieren und konsumieren. Natürlich die richtigen Dinge. Das Leben ist kurz. Und es soll mit einer grünen Null enden.
Aufgezeichnet von Ronald Battistini.
Über Dirk Gratzel
Dirk Christian Gratzel (geb.: 23. Februar 1968 in Essen) ist Unternehmer, Rechtsanwalt, Journalist, Autor und Umweltaktivist. In seinem Buch „Projekt GreenZero“ beschreibt er seinen konsequenten Weg zu einer ausgeglichenen Ökobilanz und beantwortet eindeutig die Frage, ob wir klimaneutral leben können. Hierfür arbeitete Gratzel mit Nachhaltigkeitsforschern der TU Berlin, mit Biologen, Ökologen und Forstingenieuren an Methoden, wie Lebenszyklusanalysen individuell angewendet werden und wie Lebensökobilanzen von Menschen künftig ausgeglichen werden können.