Überlegungen zur sogenannten "Zeitenwende"

Wir brauchen eine neue Logik für ein Ende des Krieges ... und überhaupt

Überlegungen zur sogenannten

Wie für uns alle, ist dieser Krieg für mich eine echte Achterbahn der Gefühle. Am schlimmsten die Ohnmacht und die Enttäuschung, dass wir als Zivilgesellschaft und auf der politischen Ebene nicht weiter sind, diesen Krieg nicht verhindern konnten und jetzt die Antworten der offiziellen Politik vor allem Aufrüstung heißen - und nach alternativen Gas-Lieferanten mit zweifelhafter Reputation suchen.

Dazu das Mitgefühl mit den Menschen, deren Leben direkt betroffen ist, deren Häuser zerstört werden, deren Liebste in den Krieg ziehen, gar getötet wurden und werden, die fliehen oder versuchen vor Ort irgendwie durchzukommen und auszuhalten.

Und dann diese unglaublich breite Solidarität, aktiv, praktisch, tatkräftig! So viele Menschen, die helfen, sich auf den Weg machen, Dinge zu bringen, Menschen abzuholen, hier Unterkünfte und Aufnahme zu ermöglichen. Eine so klare und solidarische Antwort von so so vielen. Eine solche Einigkeit, dass es diese Hilfe und diese Aufnahme von Flüchtlingen ist, die jetzt dran sind.

Und daneben unser ganz normaler Alltag hier, Frühling, Sonnenschein, die täglichen normalen Abläufe, das Geschenk der Normalität. Tiefe Dankbarkeit für dieses Geschenk und zugleich so etwas wie ein schlechtes Gewissen, wie Scham, dass es mir so gut geht.

Das Bewusstsein, dass es Themen gibt, die trotz des Krieges in der Ukraine für uns alle bleiben, dringend gelöst werden müssen auch und trotz alledem. Daran weiterarbeiten.

Ich übe mich, in all dem mein Herz offen zu haben und zu handeln, zu erkennen, wo muss und soll ich weitermachen, weil auch das weiter wichtig ist und wo ist jetzt anderes dran.


Es wird gerade angesichts der Beschlüsse von Bundesregierung und EU von einer Zeitenwende gesprochen, weil mit wesentlichen Grundlagen der Nachkriegspolitik in Europa gebrochen wird. Und tatsächlich, das ist eine Wende. Es ist ein Rückfall in uralte Muster von Trennung und Schmerz. Muster, von denen wir wissen, dass sie keine friedlichen Lösungen ermöglichen. Muster von denen wir wissen, dass sie eine Spirale der Gewalt erzeugen.

Und ja eine Zeitenwende wäre erforderlich - doch keine, die uns die Lehren aus den beiden Weltkriegen vergessen lässt!

Wir brauchen eine neue Logik
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine andere/ neue Logik brauchen - nicht nur um diesen Krieg zu beenden, sondern um überhaupt die Probleme zu lösen, die wir uns als Menschheit über Jahrzehnte angehäuft haben.

Auch ich habe noch keine Ahnung, wie geanu diese aussehen soll/ kann/ muss.
Doch ich erlebe, spüre, sehe jeden Tag, dass wir mit unseren alten Mustern auf die Ereignisse der Welt zu reagieren und Lösungen durch mehr vom Gleichen finden zu wollen, nicht weiter kommen, uns eher noch tiefer in den Sumpf wühlen.

Das unglaubliche Engangement der Vielen, um den Menschen in der Ukraine und denen, die vor dem Krieg fliehen, zu helfen, die Art und Weise, wie dies geschieht, hat - aus meiner Sicht - schon viele Komponenten von dem, was wir an neuer Logik und neuen Paradigmen brauchen.

Die Menschen lassen sich berühren - in ihrer Seele, in ihrer Mitmenschlichkeit.
Sie stellen sich in Gedanken in die Schuhe der Betroffenen und überlegen, was jetzt gebraucht wird und was am meisten helfen kann.
Sie ergreifen die Initiative, warten nicht, dass jemand ihnen sagt, was zu tun ist.
Sie machen sich kundig, vernetzen sich, suchen und finden Verbündete und finden Menschen und Plattformen, wo sie alle Informationen erhalten, die sie brauchen.
Und sie gehen einfach los.
Sie verbinden sich im Schwarm.
Sie achten aufeinander, unterstützen einander und haben ein klares hoch motivierendes Ziel: Wirksam anderen Menschen in ihrer größten Not zu helfen.

Es geht ihnen nicht darum, es leicht und gemütlich zu haben.
Es geht ihnen nicht darum, der/die Schnellste oder Größte oder Beste zu sein.
Sie wollen gemeinsam etwas erreichen, was ihnen menschlich am Herzen liegt und wodurch sie anderen Menschen wirklich dienen.

Wir brauchen eine Logik, der genau dies zugrunde liegt - bei allem, was wir tun, entscheiden, wie wir in der Welt agieren, ob als Politiker*in, Unternehmer*in, "einfache*r" Angestellte*r, Leher*in, ob als Privatperson in meinem Umfeld oder im Job - wir haben uns die Frage zu beantworten: Dient das, was wir vorhaben, dem "höchsten Wohl" aller?
Das klingt jetzt vielleicht sehr pathetisch. Doch ganz ehrlich, wir dürfen es unter dem nicht mehr machen!

Und wir dürfen uns zugleich nicht von der Kompexität, die in dieser Frage steckt, lähmen lassen.
Das ist eine echte Gefahr.
Ja, wir können nicht wissen, ob das was wir nach besten Wissen und Gewissen gerade vorhaben zu tun, echt echt wirklich dem höchsten Wohl aller dient. Doch wenn das unser Maßstab ist, scheiden viele Optionen einfach aus.
Und wenn das unser Maßstab ist, finden wir Verbündete.

Wenn diese Frage der Maßstab ist:
Wie würde die Bundesregierung über ihr Aufrüstungsprogramm denken?
Wie würden die Gespräche bei den Verhandlungen mit der Russischen und der Urkainischen Regierung laufen?
Wozu wären wir bereit, es in die Waagschale zu werfen, damit dieser Krieg sofort endet?

Wozu wären wir bereit, wenn wir uns ebenso wie bei den Menschen aus der Ukraine bei allen, die im Mittelmeer ertrinken, bewusst machten, dass sie Menschen wie wir sind, die genau wie wir "nur" glücklich sein und ein gutes Leben führen wollen - und dass wir sie für unser gutes Leben gerade ertrinken lassen?

Wozu wären wir bereit mit Blick auf den Klimawandel, das Artensterben, die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, wenn wir uns in vollen Umfang bewusst machten, dass es wir sind und unser Wohl in der Zukunft, dass da gerade auf dem Spiel steht?

Wie würden unsere Politier*innen mit uns sprechen, wenn sie uns für mündig hielten und sich selbst im Dienst des höchsten Wohl aller sähen?

Das heißt: Eine wesentliche Komponente dieser neuen Logik ist das tiefe Bewusstsein darüber, dass wir alle miteinander verbunden sind und dass alles, was wir geschehen lassen auch uns geschieht.

Weitere Komponenten dieser neuen Logik sind für mich:
Vertauen - Vertrauen in die Fülle des Lebens, darauf dass genug für alle da ist, wir es nur gerecht zu vertreien brauchen. Vertrauen, in das Gute im Menschen.

Besinnung auf das, was uns wirklich glücklich macht, darauf, wie wenig das meist ist. Es sind ja nicht das teuere Auot, der Luxusurlaub, die vielen vielen Güter und Kleider, die unsere Schränke füllen. Wirklich glücklich macht uns doch meist, wenn wir etwas leisten können, wenn wir uns tief verbunden fühlen mit den Menschen um uns. Wenn wir uns gesehen und geachtet fürhlen und uns entfalten dürfen.

Wenn uns das bewusst ist, wie bewerten wir dann all die Dinge, von dem wir wissen, dass wir darauf verzichten sollten. Ist es dann wirklich noch ein Verzicht? Es gibt so vieles, was wir durch den Verzicht auf noch mehr Güter, die wir gar nicht wirklich brauche an Lebensqualität gewinnen würden. Wie würde es unser kollektives Gewissen entlasten, wenn wir zwar vielleicht von unserem Wohlstand und Überschuss etwas abgeben, aber wissen, es leidet niemand mehr Hunger für uns? Es wird niemand von seinem Land vertrieben. Es ertrinkt niemand mehr im Mittelmeer, weil er oder sie aus der Heimat vor Krieg und Hunger flieht. Es können alle Kinder lernen und ihr Potential für das Wohl von uns allen einbringen.

Mag sein, dass dieses Denken naiv ist.
Doch ganz ehrlich: Nur weil ich so naiv denke, verzweifle ich gerade nicht an dem, was alles auf der Welt geschieht. Nur deshalb habe ich Hoffnung - und weil ich erlebe, dass sich schon so viele Menschen so solidarisch verhalten.

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Veröffentlicht am 22. März 2022

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